Ein Hamburger Träger für integrative Kinderbetreuung lässt sich auf ein Experiment ein: Sie lassen sich ihren Teamtag von den Konsenslotsen moderieren um das Vertrauen im Team zu verbessern.
Die Einrichtung steckt mitten in einer Umstrukturierung, bei der unter anderem die gewohnten informellen Beteiligungsprozesse durch einheitliche Abläufe und Regelungen ersetzt werden sollen. Einige Mitarbeiterinnen fürchten dabei um die Qualität der individuellen pädagogischen Arbeit. Kann ihnen eine neue Beteiligungsmethode weiterhelfen? Trainerkollegin Nayoma de Haen hat diesen Tag begleitet und beobachtet.
Wie es losging
Am Anfang wirkt die Stimmung im Kreis verhalten bis bedrückt. Im Vorfeld hat es schon so manche Vorwürfe und hitzige Diskussionen gegeben. Kommt es heute zum großen Knall? In der Einstiegsrunde wird Frust und Angst spürbar, aber auch Hoffnung, und vor allem großer Redebedarf. Die Einrichtung ist in den letzten Jahren schnell gewachsen, und die jahrelang eingeschliffenen informellen Beteiligungsstrukturen brauchen ein Update. Es sind Umstrukturierungen in Gang gesetzt worden und es gibt Verunsicherung, was dies für die einzelnen Mitarbeitenden bedeuten wird. Die 15 Teilnehmerinnen, hauptsächlich Mitarbeiterinnen des Kindergartens sowie zwei Frauen aus dem Vorstand des Trägers, sind zusammengekommen, um sich einen Tag lang mit Systemischem Konsensieren in ihrer Zusammenarbeit unterstützen zu lassen. Systemisches Konsensieren ist ein Verfahren aus Österreich, welches die Tragfähigkeit von Entscheidungen in Gruppen maximiert, indem es Widerstände gegen Entscheidungen konstruktiv einbindet und aus Vielfalt Synergieeffekte gewinnt. Moderiert wird dieser Tag von Adela Hurtado Mahling und Markus Castro, zwei Trainer_innen für Gewaltfreie Kommunikation und Systemisches Konsensieren, die seit einigen Jahren intensiv zu der Verbreitung dieses Ansatzes in Deutschland beitragen.
Es beginnt mit einer ersten Abfrage der Widerstände zu der mit der Leitung vorbesprochenen Leitfrage für diesen Tag: „Welche Vereinbarungen treffen wir, um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu fördern?” Die Allgemeinheit der Fragestellung löst bei manchen Irritationen aus, es zeigt sich jedoch, dass sich alle darauf einlassen können. Im Laufe des Tages wird deutlich, wie sehr diese Offenheit der Frage kreativen Spielraum eröffnet.
In dem nächsten Schritt, dem Einsammeln der Wünsche an gute Lösungen, kommen erst noch mal viele Sorgen und Bedenken zum Ausdruck. Die beiden Moderator_innen unterstützen die Teilnehmerinnen dabei, die dahinter liegenden Bedürfnisse und Anliegen herauszuarbeiten, und es zeigen sich ein paar zentrale Themenbereiche: viele Mitarbeiterinnen wünschen sich mehr Transparenz, Klarheit und eine offenere Kommunikation. Sie wollen mehr einbezogen werden und hätten gerne konkrete Entlastung im Arbeitsalltag.
Von Problemorientierung zu Mitgestaltung
Nach der Mittagspause kommt noch mal Unmut zum Ausdruck, warum hier heute nicht mehr über die Fakten des Umstrukturierungsprozesses gesprochen wird. Es ist so ungewohnt, den Fokus auf eine lösungsorientierte Frage zu legen, anstatt auf das Besprechen der Probleme. Auch die Einladung, jetzt gemeinsam Vorschläge zu erarbeiten, wird zunächst nur zögerlich angenommen. Doch als klar wird, dass sich hier und heute die Gelegenheit bietet, mitzugestalten, ändert sich die Stimmung. Wo vorher Misstrauen herrschte, entwickelt sich stattdessen eine intensive konstruktive Diskussion und alle sind eifrig dabei, Lösungen für bessere Prozessstrukturen zu entwickeln. Von da an ist eigentlich die knappe Zeit das einzige Problem.
Es kristallisieren sich schnell vier Themen heraus, zu denen sich Kleingruppen zusammensetzen und Vorschläge erarbeiten. Diese werden von der Gesamtgruppe konsensiert, d.h. auf die Widerstände hin geprüft. In mehreren “Speed-Dating”-Runden tauschen sich die Teilnehmerinnen in kleinen Gruppen und Zweier-Gesprächen fokussiert über die Hintergründe ihrer Einwände aus. Neben dem Fokus auf die Widerstände ist dies ein weiterer entscheidender Schritt, durch welchen sich das Systemische Konsensieren von anderen Entscheidungsverfahren unterscheidet. Wer den eigenen Vorschlag fördern will, hat nichts mehr davon, die anderen Vorschläge abzuschmettern. Sinnvoller ist nun mit den scheinbaren Kontrahenten ins Gespräch zu gehen und zu erkunden, wie ein Vorschlag so abgewandelt oder ergänzt werden kann, dass er auf weniger Widerstand stößt. Meistens ist dies möglich und nebenbei sind scheinbare Kontrahenten einander näher gekommen und haben nun mehr Verständnis und Wohlwollen für die Anliegen der anderen.
„Ich dachte erst, das wird hier heute richtig krachen”
In einem weiteren Schritt werden die eingesammelten Informationen in neue Handlungsvorschläge eingearbeitet und erneut vorgestellt. Da der Nachmittag inzwischen schon recht weit fortgeschritten ist, zeigen die beiden Moderator_innen nur noch anhand des Vorschlags für eine neue Struktur der monatlichen Team-Konferenzen das weitere Vorgehen: Die Umsetzung wird von der Gruppe mit 0 Widerständen im Konsens angenommen, d.h. der Vorschlag ist beschlossene Sache. Die Gruppe scheint selbst überrascht, wie schnell es jetzt zu einem konstruktiven Miteinander kam. Sicher ist noch vieles zu klären und es braucht vielleicht auch noch mal Raum und Zeit, um Ängste und Verletzungen zu würdigen. Im abschließenden Feedback wird jedoch deutlich, wie sehr sich die Stimmung gewandelt hat. „Ich dachte erst, das wird hier heute richtig krachen”, sagt eine Mitarbeiterin, „ich bin sehr froh und erleichtert, dass es so konstruktiv war!”. „Der Tag hinterlässt bei mir das Gefühl und die Zuversicht, dass durch äußere Unterstützung vermeintlich verfahrene Situationen und Strukturen wieder auf Kurs gebracht werden können”, meint eine andere. Weitere Stimmen waren: „Die Ängste sind nicht verflogen, aber die Herangehensweise passt besser als das, was wir vorher gemacht haben.” „Der Prozess braucht Zeit, ist aber trotz emotionaler Involviertheit sehr unaufgeregt abgelaufen.” “Das einfache Zahlensystem[1] ist super, weil es uns sonst so schwer fällt, Entscheidungen zu treffen.” „Vorher hatte ich das Gefühl, wir haben ganz viele Mauern zwischen uns; die Umkehrung der Fragestellung hat das aufgelöst.“
Text: Nayoma de Haen und Adela Hurtado Mahling